Schon
im Herbst, da im deutschen Vaterlande die
Weihnachtsfreude noch lange nicht vor der Thür steht,
werden in unseren Seehäfen schlanke Tannen in ihrem
immergrünen Schmuck auf Schiffe verladen. Ueber weite
Meere wandern sie nach den heißen Ländern des Südens,
ein sinniger, herzerfreuender Weihnachtsgruß für die
Deutschen, die unter fremdem Himmel wohnen, aber in der
Brust deutsche Sitte wahren und hegen. Fürwahr, wie
herrlich muß die Freude sein, in fremden Weltteilen am
Christabend einen deutschen Tannenbaum im Lichterglanze
erstrahlen zu sehen und den würzigen Duft heimatlicher
Tannenwälder wieder einzuatmen! Nach allen Richtungen,
nach allen Ländern gehen diese Weihnachtsbäume, vor
allem aber nach unseren jungen afrikanischen Kolonien,
in welchen bei aller Pracht und Fülle des
Pflanzenwachstums die herrlichen Tannen nicht gedeihen.
Dem
war früher nicht so gewesen. Die ersten Erforscher des
Dunklen Weltteils verbrachten die Weihnachtstage in der
Wildnis, oft unter Entbehrungen und Gefahren, ohne
äußeren Glanz, und die ersten Ansiedler schmückten
fremdartige Bäumchen mit Licht und buntem Flitter, wenn
die Heilige Nacht kam. Solche Weihnachtsfeste in der
Fremde sind schon oft geschildert worden, heute bringt
die „Gartenlaube“ ihren Lesern ein anderes Bild, ein
Weihnachten unter einem deutschen Tannenbaum in einer
deutschen Kolonie!
In
Westafrika, im Togoland an der Sklavenküste, hat jene
Weihnachtsfeier im vorigen Winter unter Beteiligung von
jung und alt, von Schwarz und Weiß stattgefunden. Auch
dort erklang das deutsche Lied, auch dort waltete
wärmend das deutsche Gemüt, aber trotz alledem gab es
dort ein anderes Weihnachten als in der nordischen
Heimat!
Weihnachten
ist bei uns ein Winterfest. Der kürzeste Tag, Frost und
Schnee gehören zu der echten und rechten
Weihnachtsstimmung; inmitten der toten Natur mutet uns
das Immergrün der Tanne besonders mächtig an: es predigt
die Hoffnung auf die Wiederkehr des Frühlings, raunt uns
zu die frohe Verheißung von einem Wiederauferstehen.
Solche Eindrücke bietet uns um die Weihnachtszeit die
Natur in den Tropenländern nicht.
Togoland liegt nur wenige Breitegrade vom Aequator
entfernt, und die Tage werden in ihm auch zur Zeit der
winterlichen Sonnenwende nicht merklich kürzer, Nacht
und Tag bleiben sich gleich lang. Fortwährend sendet
dort die Sonne glühende Strahlen nieder, und wo Regen
fallen, wo Flüsse und Bäche den Boden mit Feuchtigkeit
tränken, dort giebt es keinen Stillstand im Leben der
Pflanzen, dort grünt und blüht und reift es ohne
Unterlaß, dort herrschen ewig Frühling und Sommer in
treuem Bunde. Nur in Landstrichen, wo zeitweilig Regen
ausbleiben, verdörrt die Hitze Gras und Baum auf dürrem
Grunde; öde sieht dann die Steppe aus und dann hat auch
Afrika seinen, freilich heißen Winter.
Aehnlich ist im Togoland der Winter beschaffen. Dort
kommen in den Monaten Dezember und Januar nördliche
Winde zur Geltung. Sie entstehen über den wasserleeren
sonnendurchglühten Sand- und Felsenflächen der Sahara
und sind wegen ihrer austrocknenden Wirkung gefürchtet.
Harmattan
heißt dieser Wüstenwind, und wenn er sich erhebt und
tage- oder gar wochenlang anhält, dann wandelt er in
kurzem das Bild der Landschaft um. Während des
Harmattans ist die Luft mit feinstem Staube erfüllt;
unter seinem Hauche verdorrt das Pflanzenleben, die
Blätter an den Bäumen werden gelb und fallen ab, das
Gras wird dürr, jedes Grün mit Ausnahme der Bananen
verschwindet; nur an Flüssen und Seen kann die
Pflanzenwelt dem übermächtigen Gegner trotzen. In den
menschlichen Wohnungen richtet der Wind ebenfalls
Schaden an: Bretter biegen sich, Thüren und Fenster
erhalten Risse und Spalten und alles überzieht sich mit
einer dichten Staubdecke. Mensch und Tier aber verfallen
in einen Zustand des Unbehagens und der Ermattung.
Glücklicherweise stellt sich dieser Winterwind des
Togolandes nicht immer ein und seine Herrschaft währt
nicht lange. Bald türmt sich im Süden oder Westen ein
schwarzes Gewölk auf, es breitet sich über den Himmel
aus und unter Sturm, Blitz und Donner bricht der Tornado
ein; mit Regenströmen überflutet er die Erde, und wenn
dann die Sonne wieder vom blauen Himmel niederlacht, so
erholt sich alles in kürzester Zeit, im Handumdrehen
grünt und blüht wieder die Landschaft und in solcher
Frühlingspracht und bei Sonnenglut feiert man alsdann
Weihnachten im Togolande.
Nur
eine kleine Gemeinde ist es aber, die an jenem Tage dem
großen Erlöser von Nazareth huldigt und den Tag seiner
Geburt zu einem Fest der reinen Liebe gestaltet. Was
weiß die große Masse des schwarzen Volkes dort vom
Christengott und seinen Geboten der Nächstenliebe! Wie
vor Jahrtausenden steckt sie noch heute im niedrigsten,
schlimmsten Heidentum, betet elende Fetische an und
opfert in zitternder Angst den grausamen Ausgeburten des
eigenen Aberglaubens. Ihre Gottheiten sind böse
rachsüchtige Geister.
Die
Küstenbevölkerung dieses Landstriches ist schon vor
Jahrhunderten mit Christen in Berührung gekommen,
welcher Art aber diese Berührung war, davon zeugt der
auf Landkarten verzeichnete Name des Landes –
Sklavenküste! Hier, wie in Guinea an der Westküste
Afrikas überhaupt, blühte ja einst die scheußliche Jagd
an den schwarzen Menschen; von hier aus wurde die
Meuschenware von christlichen Händlern nach der Neuen
Welt verfrachtet, um den Boden Amerikas fruchtbar zu
machen und die Blüte seiner Pflanzungen herbeizuführen.
Lange, bis in die neue Zeit hinein, währte dieser
schimpfliche Sklavenhandel. Noch leben in einigen
Küstenorten alte Männer, die durch Sklavenlieferungen zu
Wohlstand gelangten. Nur langsam begann sich eine
Wendung zum Besseren zu vollziehen, als Missionare in
das Land kamen und der Handel mit Palmöl auch an diesen
Gestaden aufzublühen begann. Eine neue Aera brach jedoch
für dieses Gebiet an, als vor zwölf Jahren im Togolande
die deutsche Flagge gehißt wurde. Unter der deutschen
Schutzherrschaft blühten hier die ersten größeren
Pflanzungen auf und beim Anbau von Kaffee, Kakao,
Baumwolle und Tabak wird der Neger der Segnungen einer
regelmäßigen Arbeit, die er früher nicht kannte,
teilhaftig. Die Thätigkeit der Missionare wurde
anderseits durch die Gründung einer deutschen Schule
ergänzt, aus der mit der Zeit hoffentlich ein Stamm
braver schwarzer Bürger hervorgehen wird. Der Neger, der
bis dahin mit den Weißen nur geschäftlich verkehrt
hatte, lernt jetzt dieselben von einer andern Seite
kennen. Er sieht sie im gemeinnützigen Interesse wirken,
er lernt sie achten und wird sie mit den Jahren lieben
lernen. In der That ist in dieser Hinsicht bereits ein
großer Fortschritt erzielt worden; einen Beweis dafür
bildet gerade die schöne, oben bereits erwähnte
Weihnachtsfeier in der Kolonie. Ein so erfreuliches Fest
wäre noch vor wenigen Jahren im Togolande geradezu
unmöglich gewesen!
Still
und friedlich liegt die Negerstadt Klein-Popo am
Meeresstrande; der Seewind zieht leise durch die Palmen,
die ihre riesigen Kronen über den niedrigen
strohbedeckten Lehmhütten wiegen; die Sonne geht unter
und der erste Weihnachtsstern erstrahlt am dunklen
Himmelszelt. Und siehe da, auch auf der Erde leuchten
Lichter auf; auf dem Wege, der zu dem weißgetünchten
Schulgebäude führt, werden bunte Lampions angezündet.
Das gewölbte Eingangsthor ist reich mit Palmenzweigen
geschmückt, zwischen denen gleichfalls bunte Lichter
schimmern. Die Schule hält ihr Weihnachtsfest. Schon
längst sind die Schüler, etwa fünfzig an der Zahl, im
Schulhofe versammelt und stehen in Gruppen beisammen –
hier die älteren Jungen, die zum Teil schon das
Jünglingsalter erreicht haben, dort die jüngeren bis zum
sechsjährigen ABC-Schützen. Alle tragen rote Mützen, die
sie im Jahr vorher zu Weihnachten bekommen haben; im
Übrigen hat sich jeder so gut wie möglich herauszuputzen
versucht. Diese haben ihr schönstes Hüftentuch
umgeschlungen, jene tragen ein buntes Nachthemd, andere
wieder einen mehr oder weniger vollständigen Anzug von
europäischem Schnitt.
Durch
das geschmückte Thor treten indessen die geladenen Gäste
ein. Der Landes-hauptmann, der Stabsarzt und die
Schwester vom Krankenhause, Beamte und deutsche
Kaufleute; neugierig nahen auch die schwarzen Väter der
Schüler, Häuptlinge und Dorf-älteste von Klein-Popo;
alle werden von dem Lehrer Köbele und seiner jungen
Gattin willkommen geheißen und in das große Schulzimmer
geleitet, in dem die Feier stattfinden soll. Dort sind
die weißgetünchten Wände mit reichem Palmenschmuck
geziert, zwischen dem die Bildnisse des Kaisers und der
Kaiserin hervorblicken. Auf der Tafel prangt in
gotischer Schrift der Weihnachtsspruch „Ehre sei Gott in
der Höhe“. Für die Festgäste sind Stühle aufgestellt,
ein Tisch ist mit Christgaben für die Schüler bedeckt;
aller Augen sind aber auf den Weihnachtsbaum gerichtet –
eine echte deutsche Tanne, die in hellem Lichterglanz
und buntem Schmuck erstrahlt. Die Schüler stellen sich
inzwischen im Halbkreis um den Christbaum, ihre dunklen
Augen sind auf den Lehrer gerichtet, der am Klavier
steht, und mit dem dreistimmigen Choral „Kommt, kommt,
den Herrn zu preisen“ wird die Feier eröffnet. Wie
eigenartig werden die Zuhörer durch diese hellen Klänge
in der Sprache der Heimat ergriffen! Fast wie ein
Märchen kommt es ihnen vor, daß Negerbuben so geläufig
ein deutsches Lied vortragen. Die Ueberraschung war aber
noch größer, als die Deklamationen an die Reihe kamen.
Da tritt der kleine Jakob vor. Er sieht schüchtern und
schmächtig aus; wie er aber anfängt, so sicher und in
klarer Aussprache die Weihnachtsgeschichte vorzutragen,
richtet sich jedes Auge mit Wohlgefallen nach dem klugen
Gesicht mit den ernsthaften Augen. Weniger Glück hat
sein Nachfolger Ador; er, der keckste unter den
Schülern, verliert heute in der feierlichen Stimmung die
Geistesgegenwart. Mit unsicherer Stimme beginnt er das
Gedicht von Gerok „Jesus in der Krippe“ und verwechselt
mehrere Gliedmaßen des Kindes, die darin besungen
werden. Vielleicht beengt ihn die neue helle Hose, die
der Uebermut zur Feier des Tages anhat, denn er zieht
sie krampfhaft höher und höher, als fürchte er, sie bei
seinen Anstrengungen zu verlieren. Endlich ist der
letzte Satz herausgewunden und Ador tritt beschämt
zurück. Die Ehre der Schule rettet nun der Primus, der
das Melodrama „Das Glöcklein von Jnnisfär“ vorträgt. Ein
deutscher Beamter hat die Klavierbegleitung übernommen
und die sichere ausdrucksvolle Art, wie der schwarze
Junge das lange Gedicht dazu hersagt, erregt allgemeinen
Beifall; auch die anderen Schüler, welche die kleinen
Chöre dazwischen singen und mit der Schulglocke das
Glockengeläute markieren, machen ihre Sache gut. Zum
Schlusse singen die schwarzen Schüler und die anwesenden
Europäer einstimmig den erhebenden Choral „Allein Gott
in der Höh’ sei Ehr’!“ Noch eine Rede des
Landeshauptmanns, der dem Lehrer Anerkennung zollt, und
nun erfolgt die Verteilung der Gaben an die jungen
Burschen. Filetjacken bildeten das Hauptgeschenk, aber
es fehlte auch nicht an knusprigen Weihnachtsgaben; ein
Schiffskapitän sandte ein Faß Schiffszwieback für die
„Jungens“ und ein Kaufmann stiftete Pfeffernüsse.
Fürwahr,
ein solcher Weihnachtsabend in Deutsch-Afrika läßt das
deutsche Herz höher schlagen, aber wie groß muß sein
Eindruck auf die schwarzen Gäste gewesen sein! Ernst
schritten die wackeren Dorfältesten nach Hause und in
dem Negerdorfe erzählte der Kindermund von dem
Jesuskinde, zu dem die Weißen beten; erzählten von der
Liebe, die es lehrte, von dem Frieden, den es der Welt
verhieß. Da wankte wohl in mancher Brust zum erstenmal
der düstere Glaube an die böse Dämonenwelt und den
Fetischkultus und der Glanz des Christbaumes drang
aufklärend in die finsteren Tiefen des traurigsten
Aberglaubens.
So
wirkt heutzutage der „deutsche Schulmeister“ im Dunklen
Weltteil, ein Vorkämpfer der Kultur im vollsten Sinne
des Wortes. So wirkt und ringt er unter tausend
Beschwerden; denn ungefügig sind noch die Schüler, die
er aus der angeborenen Wildheit höherer Gesittung
zuführen will, und unwirtlich, mit Fieberdünsten
geschwängert ist das Land, in dem er lebt. Hat doch
Lehrer Köbele, dem wir die Vorlagen zu dem Bilde, das
unsere Nummer schmückt, und die näheren Angaben für
diese Schilderung verdanken, ein weiteres Weihnachtsfest
nicht mehr erleben können. In der Blüte des Mannesalters
hat ihn bereits am 11. Mai dieses Jahres ein bösartiges
Fieber dahingerafft. Ehre seinem Andenken und Ehre den
anderen deutschen Lehrern, die gleich ihm im Dunklen
Weltteil aufopferungsvoll wirken, mit Waffen des Geistes
und des Herzens die jungen Kolonien erst wahrhaft für
das Vaterland erobern helfen! |