Das
Tschedtgebirge
Wenn
man entlang der vulkanischen Linie, die über die Inseln
Annabom, St. Thomas, Principe, Fernando Po das das
Camerungebirge hinläuft, in das Innere des Schwarzen
Erdtheils eindringt, so erreicht man in der Höhe des
8.Grades nördl. Breite den Südrand eines großen
Gebirges, das vor kurzem noch völlig unbekannt war. Zwar
hatte Barth bereits die Nachricht von einem Berge
Tschebtschi nach Europa gebracht, der sich nordwestlich
von Kontscha in großer Länge hinziehe; aber der
deutschen Camerun-Expedition war es vorbehalten, dieses
Tschebtschigebirge zu durchqueren und näher kennen zu
lernen. Seinen Südrand, die Berge von Gangome, sowie
seinen Nordrand, das Fumbinagebirge, hatten bereits
andere Reisende kennen gelernt; es war aber unbekannt,
daß beide die Enden eines zusammenhängenden Gebirges
sind. Dieses Gebirge verläuft von Südsüdwest nach
Nordnordost, und seine Achse fällt genau mit der Linie
des vulkanischen Camerungebirges zusammen. Seine Höhe
beträgt 2000 bis 2500 Mtr., seine Länge etwa 20
geographische Meilen. Granite und Gneiße setzen es der
Hauptmasse nach zusammen; Eruptivgesteine jüngeren
Datums sind an den Flanken des centralen Hauptwalls
emporgequollen und dieser selbst wird von einer
Basalttafel bedeckt. Entsprechend der energischen
Einwirkung der Tropenregen, wird das Gebirge von
zahlreichen und tiefen Thälern und Schluchten
durchfurcht, die bis weit in das Rückgrat des Hauptkamms
einschneiden. Während aber in der Regenzeit, April bis
October, die Erosion durch das fließende Wasser thätig
ist, die Thäler vertieft, die Gehänge durchfurcht,
zerstört während der regenlosen Trockenzeit der
Temperaturwechsel zwischen Tageswärme und Nachtkälte die
Gesteine, besonders die Granite. Der Fels zerberstet in
einzelne Blöcke, gewaltige Schalen springen ab, und so
entstehen glatte Wände, Thürme und Buckel von mehreren
hundert Metern Höhe, während sich an dem Fußgehänge
gewaltige Block- und Schutthalden ansammeln. So schaffen
die klimatischen Verhältnisse die verschiedenartigsten
und malerischen Oberflächenformen. Tiefe Schluchten,
zackige Spitzen, imposante Gebirgswände, waldige Gehänge
und fruchtbare Thalsohlen bilden in buntem Wechsel die
Scenerie des romantischen Gebirges.
Von
gleichem Interesse ist die Flora. Auf der Höhe des
Hauptwalls, der von einer Basalttafel gebildet wird,
blickt man über ein ebenes, welliges Land, aus dem
mehrere hellgraue Phonolithkegel emporragen. Niemand
ahnt, daß er sich in fast 2000 Meter Höhe auf dem
schmalen Kamm eines Gebirges befindet. Grasland mit
einzelnen Büschen dehnt sich vor dem Auge des Beschauers
aus. Aber am Rande des wenige tausend Meter breiten,
plateauförmigen Kammes angekommen, befindet man sich
plötzlich in einer anderen Welt. Über ein Gewirr von
Schluchten, Thälern und Bergrücken, Spitzen, Thürmen und
Bergwänden streift der Blick: ein unruhiges,
verwirrendes Bild gegenüber der Ruhe und Einförmigkeit,
die uns kurz zuvor umgaben. Auch die Vegetation hat sich
plötzlich geändert. Statt der Grasebene hellgrüne
Bergwälder an den Gehängen, Borassuspalmen von 30 und
mehr Metern Höhe in den ebenen Thalsohlen. Doka und
Kondeli nennt der Haussa die beiden hauptsächlichsten
Bäume dieser Wälder, die mit ihrem lichtgrünen, wie
lackirte Blechblätter glänzenden Laub in der strahlenden
Tropensonne einen wunderbaren Anblick gewähren.
Die
Bevölkerung unsers Gebirgslandes besteht aus dem Volke
der Dekka. Diese gehören, wie alle Stämme Adamauas, den
Sudannegern an. Diese sind meist mittelgroße, aber
kräftige Leute mit rundem Negergesicht und von
dunkelbrauner Hautfarbe. Ein Zeuglappen, der zwischen
den Beinen durchgezogen wird, bildet die Tracht der
Männer; die Frauen tragen um die Hüften einen
handbreiten Gürtel aus himmelblauen Perlenschnüren, von
dem vorn und hinten ein belaubter Zweig herabhängt. Auf
dem Kopfe haben sie eine kleine schwarze Kappe. An den
Gehängen der Berge und den Thalebenen liegen die
Ansiedelungen. Diese werden aus einzelnen Gehöften
gebildet, von denen ein jedes mit einem Zaun aus
horizontalen Bambusstangen umgeben ist. Mehrere hundert
Lehmhütten mit spitzem Grasdach, das typische Haus aller
Sudanstämme, sowie kleine brusthohe Thonurnen, in denen
man das Getreide aufbewahrt, stehen in dem Inneren eines
jeden Gehöftes. Diese Gehöfte pflegen geschlossene
Dörfer zu bilden und am Rande ihrer Hirsefelder zu
liegen, die sich in den Thälern am Fuß der Berge
hinziehen.
Im
Gegensatz zu den meisten anderen Stämmen Adamauas haben
die Dekka es verstanden, ihre Freiheit zu behaupten. Im
Anfang dieses Jahrhunderts wurde Adamaua von den
mohammedanischen Fulbe erobert, ein großer Theil der
ursprünglichen Bevölkerung zu Sklaven gemacht oder in
die Gebirge gedräbgt. Auch den Dekka ging es nicht
besser, soweit sie außerhalb des Gebirges wohnten. Von
Osten wurden sie vom Sultanat Yola, von Westen von den
Muri bedrängt, deren officielle Grenze der Hauptkamm der
Hauptkamm des Gebirges bildet. Aber in dem wilden,
schwer zugänglichen Tschebtschigebirge, das den Kern
ihres Landes bildet, gelang es ihnen, sich festzusetzen
und allen Angriffen der Feinde siegreich zu widerstehen.
Bereits das erste Dorf im Inneren des Gebirges ist nicht
mehr von den Fulbe abhängig, und der Reisende merkt das
sofort an dem Auftreten der Bevölkerung. In dem von
Mohammedanern beherrschten Gebiet ist man nämlich an
große Handelsreisen gewöhnt, man ist da unbelästigt von
Sperrzöllen und Chicanen; in den freien Heidengebieten
dagegen beginnt sofort die Misere. Die Haussahändler,
die das Gebirge durchqueren, müssen in jedem Dorf ein
bis zwei Tage bleiben, Wegezoll bezahlen und Geschenke
austheilen. Auch die Fulbe, die mit Rinderheerden von
Muri nach Adamaua reisen, büßen zahlreiche Rinder ein,
die sie an die Dorfhäuptlinge schenken müssen. Der
stolze Fulbe ist hier nicht mehr der Herr, sondern der
Bedrückte, und die Heiden quälen denn auch die wenigen
Reisenden, die wegen Zeitersparniß das unwirthliche
Gebirge durchqueren müssen, nach Herzenslust. Bereits zu
Barths Zeiten waren die „Zollstationen“ des
Tschebtschigebirges berüchtigt. Auch mir entgingen
gleich am ersten Tage, an dem wir das freie Heidengebiet
betreten hatten, nur durch Zufall einem schweren Kampf,
und auf der Westseite des Gebirges kam es denn auch
wirklich zu einer blutigen Auseinandersetzung mit den
räuberischen Bewohnern mehrerer großer Dörfer.
Auch zwischen den einzelnen Dörfern bestehen
fortwährende Fehden, und während der Trockenzeit pflegen
anderseits Kriegszüge von Seiten der Fulbe gegen die in
den äußern Theilen des Gebirges gelegenen Ortschaften
unternommen zu werden mit wechselndem Glück. Zuweilen
gelingt es die Dörfer zu überrumpeln und Sklaven zu
machen, oft aber werden auch die Angreifer mit blutigen
Köpfen abgewiesen.
Trotz
der vielen Feindseligkeiten unterliegen die freien Dekka
doch mehr und mehr dem islamischen Einfluß. Und zwar
sind es die Alhadji (Mekkapilger), die jene Religion
verbreiten. Diese Pilger sind nicht nur bei den
Mohammedanern, sondern auch bei den Heiden heilige
Männer, und beide kaufen gern die heiligen Amulette des
frommen Mannes. Auch begeben sich häufig Charlatane, als
Malame (Schriftgelehrte) ausstaffirt, zu den dummen
Heiden, um sie durch Taschenspielerkünste zu betrügen
und ihnen das Geld aus dem Beutel zu locken. Einer
unserer Leute war selbst als solch ein Malam früher im
Tschebtschigebirge gewesen, hatte die seltsamsten
Wundercuren und Zaubereien verübt, war überall reich
beschenkt worden, und jetzt noch, als er mit uns die
Orte seiner frühern Thätigkeit wiederbesuchte, wurde
Mala Musa allenthalben mit Jubel wieder empfangen und
mit Bier tractirt, sodaß er allabentlich betrunken war.
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