Struwwelpetriade „Schwellkopf Wilhelm“
 

Die Zahl der Parodien und Nachahmungen von Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter ist kaum zu übersehen, so zahlreich sind sie. Die Flut von Material beschäftigt seit Jahrzehnten viele Sammler und Forscher. Kolonialinteressierte finden ein „Bonbon“ in der britischen Propaganda-Ausgabe „Swollen-headed William“ (Schwellkopf Wilhelm) von 1914.

Die ersten politischen Nachahmungen erschienen in Großbritannien bereits 1899 („Political Struwwelpeter“ und 1900 („Struwwelpeter-Alphabet“). In Letzterem wurde auch gegen den deutschen Kaiser gestichelt. Die Kriegsausgabe von 1914, Swollen-headed William“, zielte nun ausschließlich auf die Kriegsgegner, war deutlich schärfer und überschritt die Grenze von Satire zur Propaganda. Eine Geschichte beschäftigt sich darin mit den deutschen Kolonialambitionen, die vom Neid auf den Besitz der Briten genährt ist.

Erstaunlicherweise erschien die Ausgabe bereits zwei Monate nach Kriegsbeginn, am 1.Oktober 1914. Die Deutschen brauchten länger, um ähnlich zurück zu schlagen: Der „Kriegsstruwwelpeter“ erschien erst 1915. Ob damit bewiesen ist, daß die Briten schlagkräftiger, bzw. den spontaneren Humor haben als die Deutschen oder sich vorher schon besser vorbereitet hatten, ist am Stammtisch zu diskutieren.
 


Der Text von „Sollen-headed William“ (sinngemäß übersetzt: Der aufgeblasene Wilhelm) war von E. V. Lucas, die Bilder von George Morrow. Die Geschichte „The Story oft the Inky Boys“ beginnt mit dem zufriedenen Briten, der mal wieder durch seine prosperierenden und glück-lichen Kolonien wandelt. Neidisch schauen Kaiser Wilhelm II., Reichskanzler Bethmann-Hollweg und General Bernhardi aus dem „Untergeschoss“ herauf zum Wohlstand des Briten.
Kaiser Wilhelm II. mit Kriegsflagge als Winkefähnchen, der Reichskanzler mit Schere und zerschnittenen Verträgen und Bernhardi mit seinem Buch.

F
riedrich von Bernhardi ist heute kaum noch bekannt. 1914 war er durch sein Buch „Deutschland und der nächste Krieg“ in der Diskussion. Das Buch erschien in mehreren Sprachen, in mindestens 6 Auflagen. Darin schreibt der überzeugte Sozialdarwinist, daß das Deutsche Reich, nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zum Eroberungskrieg habe, um die biologische und politische Weiterentwicklung der deutschen Rasse zu sichern. Das Buch war natürlich für Franzosen und Briten ein offensichtlicher Beleg für die Kriegsgelüste der Deutschen – zumal Bernhardi Angehöriger des Generalstabes war.

Dass Lucas und Morrow ausgerechnet diesen Mann in das Kolonialthema eingebaut haben, ist allerdings ein kleiner „Fauxpas“, denn Bernhardi war ein Gegner ausgedehnter Kolonialpolitik. Aus militärischer Sicht sollte sich das Deutsche Reich vielmehr auf Europa konzentrieren, weil die Kolonien nicht militärisch zu sichern seien.
 
Die drei beschweren sich und verlangen auch ihren „Platz an der Sonne“, den Staatssekretär Bülow bereits 1897 im Reichstag für das Reich forderte. Dieser
Ausdruck wurde fortan zum geflügelten Wort. Schließlich würden sie diesen Platz viel mehr benötigen als die Briten.

In der Geschichte kommt es, wie es kommen muß: Agrippa mit der Schicksalsmütze (der in den englischen Struwwelpeter-Versionen den dort unbekannten Nikolaus ersetzt) ermahnt die bösen Buben. Sie wären nicht dazu gemacht, die Sonne zu fühlen. Ein Kampf mit dem Briten würde nur zu Unglück führen, weil der ihnen nie den Platz an der Sonne abgeben würde.

Da die Buben aber nicht auf ihn hören wollen, packt er sie und tunkt sie in sein Tintenfass. Die schwarze Tinte steht für die Dunkelheit, nicht nur das bildhafte Gegenteil vom Sonnenlicht, sondern auch die „dunkle Zukunft“ ihres Neides: Krieg, Zerstörung und Bitterkeit für das deutsche Volk. Die drei Reichsadler lassen traurig die Köpfe hängen und erinnern an Aasgeier.

 

Vielen Dank für die freundliche Unterstützung des Struwwelpeter-Museum, Frankfurt a.M. Weiterführende Literatur:
„Englische politische Struwwelpeter-Parodien“ von David Blamires (in Struwwelpeter-Hoffmann Gestern und Heute, Sinemis, Frankfurt 1999
„Von Peter Struwwel bis zum Kriegsstruwwelpeter – Struwwelpeter-Parodien von 1848 bis zum Ersten Weltkrieg“ Ausstellung des Arbeitskreises Bürger-gestalten-ihr-Museum. Heinrich Hoffmann-Museum, Frankfurt 1985

 

 

 

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