Post vom Hof Kaiser Wilhelms II.

 

Arne Schöfert


 

In diesem Artikel sollte es eigentlich nur um die Siegelmarken auf der Post von Höfischen Ressorts gehen. Bei der Vorbereitung hat sich dann aber gezeigt, daß man kein Bild in die Luft hängen kann – es braucht eine Wand für den Nagel.
Daher vorweg einige Infos und Literaturhinweise für Interessierte am Kaiserlichen Hof zum Verständnis. Ich gestehe, das ist dann doch umfangreicher geworden, als gedacht…

 
1. Der Kaiserliche Hof
 

Wer sich mit dem Hof des letzten Kaisers beschäftigen möchte, sollte zuerst versuchen sich einen Überblick über das Selbstverständnis und die Organisation der höfischen Gesellschaft zu verschaffen. Das ist nicht leicht, denn obwohl wir uns im industriellen Zeitalter und einer bürgerlichen Gesellschaft befinden, ist das Hof-Reglement Kaiser Wilhelms II. im Vergleich mit einem absolutistischen Staat des 18.Jahrhunderts nicht simplifiziert, sondern in vielen Bereichen sogar exzessiv ausgebaut worden. Ausgehend vom höfischen Fundament Preußens wurde einiges „aufgesattelt“, das als Nebeneffekt, Unmengen an Geld verschlang.

John C. G. Röhl, der die detaillierteste, wenn auch wenig freundliche Biografie Kaiser Wilhelm II. verfasste, gibt in seinem Text „Hof und Hofgesellschaft unter Kaiser Wilhelm II.“ 1 einen zusammen-fassenden Überblick, der den Leser oftmals fassungslos den Kopf schütteln lässt. Hier seine Einleitung:

 

Auf dem Höhepunkt seiner Industrialisierung zeitigte Preußen-Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. eine in seiner ganzen Geschichte noch nie dagewesene – man könnte sagen monströse 2 - Spätblüte der höfischen Kultur. Ob sie vom „Glanz der Krone" 3 in jener „Herrlichen Kaiserzeit" 4 schwärmten oder „das Bombastische, das pomphaft Glänzende und Prahlerische" 5 dieses Kulturphänomens beklagten, die Zeitgenossen waren sich darin einig, daß neben dem Aufstieg zu einer Industrie- und Großmacht ersten Ranges, neben der allerseits bewunderten rationellen Organisation seiner staatlichen und militärischen Einrichtungen das prunkhafte Luxurieren einer neoabsolutistischen Hofkultur zu den charakteristischsten Merkmalen des wilhelminischen Kaiserreiches zu zählen sei.

 

1 Röhl, John C. G. (1985): Hof und Hofgesellschaft unter Kaiser Wilhelm II. In: Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert. Ludwig Röhrscheid GmbH, Verlag, Bonn. S. 237–289. Online unter: https://www.perspectivia.net/publikationen/phs/werner_hof/roehl_hof.
2 Vgl. Nicolaus SOMBART, The Kaiser in his epoch : some reflexions on Wilhelmine society, sexuality and culture, in : John C. G. RÖHL und Nicolaus SOMBART (Hg.), Kaiser Wilhelm IL New Interprétations. Cambridge 1982, S. 287.
3 Herzogin Victoria Luise, Im Glanz der Krone. Erinnerungen. München 1967. Charakteristisch für die höfische Geschichtsschreibung der wilhelminischen Epoche ist das dreibändige Werk des Hausarchivars Dr. Georg SCHUSTER, Geschichte des Preußischen Hofes, Berlin 1913.
4 Otto-Ernst SCHÜDDEKOPF, Herrliche Kaiserzeit. Deutschland 1871-1914. Mit einer Einführung von Hans Joachim SCHOEPS, Frankfurt Berlin Wien 1973.
5 So der Sozialdemokrat Adolph Hoff mann im Preuß. Abgeordnetenhaus, am 7. Juni 1910. Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten, 21. Legisl. III Session 1910, S. 6649.
 

Beispielhaft für die steifen Reglementierungen die offizielle Rangfolge am Hofe mit 62 hierarchischen Stufen, die über Einfluss, Sitzordnungen, Einladungen und Reihenfolge des Einzugs und Vorstellungen entschied:

 
1. Der Oberst-Kämmerer
2. Die General-Feldmarschälle
3. Der Minister-Präsident (und Reichskanzler)
4. Der Oberst-Marschall
5. Der Oberst-Truchsess
6. Der Oberst-Schenk
7. Der Oberst-Jägermeister
8. Die Ritter des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler
9. Die Kardinäle
10. Die Häupter der nachstehend aufgeführten fürstlichen und ehemals reichsständischen    

     gräflichen Familien in nachstehender Ordnung:

 
  Arenberg
Salm-Salm
Fürstenberg
Thurn und Taxis
Solms-Braunfels
Croy-Dülmen
Hohenlohe-Oehringen
Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst
Wied
Solms-Lich und Hohensolms
Sayn-Wittgenstein-Berleburg
Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Bentheim-Bentheim und Bentheim-Steinfurt
Salm-Horstmar
Bentheim-Tecklenburg-Rheda
Isenburg-Büdingen in Wächtersbach
Isenburg-Büdingen in Meerholz
Solms-Rödelheim
Stolberg-Wernigerode
Stolberg-Stolberg
Stolberg-Rossla
Bentinck
Radziwill
Carolath-Beuthen
Lichnowski
Sagan
Hatzfeldt-Trachenberg
Biron von Curland
Blücher von Wahlstatt
Sulkowski
Lynar
Putbus
Salm-Reifferscheidt-Dyck
Pückler-Muskau
Sayn-Wittgenstein-Berleburg (Ludwigsburgische Speziallinie)
Rhein-Wolbeck
Pless
Rohan
Hatzfeldt-Wildenburg
Bismarck
 
11. Der Vice-Präsident des Staats-Ministeriums
12. Die aktiven Generale der Infanterie und Kavallerie
13. Der Minister des Königlichen Hauses und die aktiven Staats-Minister
14. Die ersten Präsidenten beider Häuser des Landtags
15. Die inaktiven Generale der Infanterie und der Kavallerie, welche als solche
     patentiert gewesen sind
16. Die inaktiven Staats-Minister, welche bei ihrem Ausscheiden der Ministerrang
     vorbehalten ist
17. Die inaktiven Generale der Infanterie und Kavallerie, welche nicht als solche
     patentiert gewesen sind
18. Die aktiven Generals-Lieutenants
19. Die Wirklichen Geheimen Räte mit Excellenz-Prädikat
20. Die Erzbischöfe und die gefürsteten Bischöfe
21. Die inaktiven General-Lieutenants, welche als solche patentiert gewesen sind
22. Die mit Excellenz-Prädikat begabten Ober-Hofchargen
23. Die Ober-Hof-Ämter im Königreich Preußen
24. Die inaktiven Generals-Lieutenants, welche als solche nicht patentiert
     gewesen sind
25. Die sonst mit Excellenz-Prädikat begabten Personen
26. Die Nachgeborenen der unter 10. Aufgeführten fürstlichen und gräflichen
     Häuser, falls sie das Cordon eines preußischen Ordens besitzen.
27. Die Vice-Präsidenten beider Häuser des Landtags
28. Die Ober-Präsidenten, sofern sie persönlich nicht einen höheren Rang haben
29. Die aktiven Generals-Majors
30. Die Räte I.Klasse und die ihnen im Rang gleichstehenden Beamten
31. Die Bischöfe beider Konfessionen
32. Die Ober-Hofchargen ohne Excellenz-Prädikat
33. Die inaktiven General-Majors
34. Die Vice-Ober-Hofchargen
35. Die Obersten
36. Die Räte II.Klasse und die ihnen im Rang gleichstehenden Beamten
37. Die General-Superintendenten, soweit sie den Rang der Räte II.Klasse haben
38. Die Feldpröbste beider Konfessionen
39. Der Ober-Bürgermeister von Berlin
40. Die Dompröbste und die Dechanten der Stifter
41. Die Schlosshauptleute
42. Die übrigen Königlichen Hofchargen und die Hofmarschälle Ihrer Königlichen
     Hoheiten der Prinzen des Königlichen Hauses, voran der Hofmarschall Seiner
     Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen
43. Die Königlichen Kammerherren
44. Die Flügel-Adjutanten Seiner Majestät des Kaisers und Königs
45. Die Inhaber der Erbämter in den Provinzen
46. Die Ober-Hof- und Domprediger und die ihnen im Rang gleichgestehenden
     katholischen Geistlichen
47. Die Rektoren der Universitäten und die beständigen Sekretäre der Akademie
der Wissenschaften, sowie der Präsident und Direktor der Akademie der Künste
48. Die Oberst-Lieutenants
49. Die Räte III.Klasse
50. Die Landes-Direktoren (Landeshauptleute)
51. Die General-Landschafts- und Haupt-Ritterschafts-Direktoren
52. Die Domherren
53. Die Ritterschafts- und Landschafts-Direktoren
54. Die Majors
55. Die Räte IV.Klasse
56. Die Landschaftsältesten und Landschaftsräte
57. Die bei Hofe vorgestellten Herren
58. Die Mitglieder beider Häuser des Landtags
59. Die Hauptleute und Rittmeister
60. Die Kammerjunker und Hofjagdjunker
61. Die Premier-Lieutenants
62. Seconde-Lieutenants
 

Dies soll an dieser Stelle reichen, um die komplexe Etikette erahnen zu können und den Hof von seiner Struktur her einzuordnen. Nun zu einer anderen Seite, nämlich der Außenwirkung. Es gab auch damals schon das, was wir heute als Klatsch und Tratsch aus der „Yellow Press“ kennen. Hier gab es nicht nur sensationsheischende Sex-Skandale sondern auch ganze Bücher mit Lebenserinnerungen und Enthüllungen von „Insidern“. Unterscheiden muß man Veröffentlichungen von vor 1918, kurz nach dem Sturz der Monarchie aus den 1920ern und die wenigen aktuellen Werke, die sich einigen Skandalen widmen.
Sich durch diese Veröffentlichungen (man mag einiges nicht Literatur nennen) zu kämpfen ist mühsam, manchmal verstörend, abstoßend oder peinlich, nur selten interessant. Für den Büchersammler jedoch auch ein mögliches, wenn auch sehr ausgefallenes, bizarres Sammelgebiet.

 
Die Höfe Europas – Am Hofe Kaiser Wilhelms II.

Hrsg. Arthur Brehmer

Neuer Verlag Berlin, 1902

Großer Prachtband mit 702 Seiten und vielen Bildern. Wohl das schönste Buch zum Thema.
 
 
Der Hof Wilhelms des Zweiten

Hrsg. Seidenhaus Michels & Cie, Berlin

Willi Simon Verlag 1910

Mit Hofkalender 1911. Möglicherweise Kundengeschenk mit vielen Bildern höfischer Damengarderobe.
 
Am Hofe Kaiser Wilhelms II.

Anonym (= Hermann Robolsky)

Richard Eckstein Verlag, Berlin 1888

Der Lehrer und Publizist macht eher eine Art Momentaufnahme zum Ende des Jahres 1888 über die Ereignisse der Thronbesteigung, die Regierung, Minister und Botschafter. Insofern ein etwas irreführender Titel.
 
Das Geheimleben des Berliner Hofes –
Das Privatleben Kaiser Wilhelms II. und seiner Gemahlin

Aus den Papieren und Aufzeichnungen einer Hofdame der Kaiserin (= Ursula Gräfin von Eppinghoven)

Englische Erstveröffentlichung 1904 in London, bis 1909 sechs Auflagen auch in New York. Im Deutschen Reich verboten, erst 1918 deutsche Übersetzung durch Esther Booth. (Gustav Ziemsen Verlag, Berlin).
 

Neben der gängigen Kurz- eine dreibändige Komplettversion (The Kaiser 558 Seiten und The Kaiserin 191 Seiten). Diese auch in limitierter, ledergebundenen Deluxe-Ausgabe auf Büttenpapier mit einigen Fotos. In Deutsch ist nur die gekürzte Version mit 310 Seiten erschienen.
Die ehemalige Hofdame schüttet einen Kübel von Marginalien aus dem Privatleben des Kaiserpaares aus, daneben unzählige Gesprächsnotizen über Gerüchte und Erzählungen vom „Hören-Sagen“. So kann man erfahren, was für Notizzettel im Schlafzimmer und Bett herumlagen, daß der Kaiser Angst vor an- steckenden Krankheiten hatte, wie mit dem oder der Bediensteten umgegangen wurde, wer dies oder jenes gehört hatte und so weiter. Der 3.Band, der sich praktisch nur mit der Kaiserin beschäftigt, bringt spektakuläre Informationen, daß sie versuchte mit Jod-Tabletten abzunehmen, oder ihr die Füße in zu kleinen Schuhen schmerzten, da der Kaiser angeblich kleine Füße mochte.
Das Niveau ist auf dem Level von typischen, trivialen Frauenzeitschriften. Trotzdem oder grad deswegen und wohl weil es bis 1918 in Deutschland verboten war, wurde das Buch zum Bestseller.

 

Hofgeschichten

Werner Kautzsch

Gustav Ziemsen Verlag, Berlin 1922 und 1927

Nach dem Ende der Monarchie fühlte sich der Autor berufen, eine Zusammenfassung aus dem oberen Buch der Hofdame und den Erinnerungen des kaiserlichen Zahnarztes, Artur Nathan Davis zu schreiben, die 1918 in New York erschienen sind („The Kaiser as I know him“). In der zweiten Auflage 1927 dann aufgrund von Archiv-Veröffentlichungen über-arbeitet und korrigiert.

 

Das Ganze hat den Anschein, als wollte der Autor 1922 von der Nachfrage nach „Enthüllungsbüchern“ profitieren indem er woanders abschrieb und sich 1927 genötigt sah, sein Buch zu überarbeiten, wobei inzwischen bewiesenermaßen falsche Aussagen korrigiert wurden.

 

Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof

Aufzeichnungen des Grafen Robert Zedlitz-Trützschler ehemaligen Hofmarschalls Wilhelms II.

Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1923

Wohl das ehrlichste Buch über den Hof, das zu der Zeit schienen ist. Der ehemalige Hofmarschall berichtet aus erster Hand von den Abläufen in der Organisation, den herausfordernden Ansprüchen und den Umständen, die wegen plötzlicher Launen des Kaisers entstanden waren.
Daneben immer wieder Einschätzungen und Bedenken über die Neigung des Kaisers zu viel und zu offen zu reden.

 

So wenn vertrauliche Regierungsangelegenheiten bei Diners und Bällen ausgeplaudert wurden, weil der Kaiser sich zu gern reden hörte. Das alles leitet der Autor mit Erinnerungen aus der Jugend und Militärzeit ein, worin er seine politische Einstellung und Überzeugungen herleitet. Man spürt eine tiefe Enttäuschung und Desillusionierung, weil der Alltag am Hof nicht den Ansprüchen genügt, die der Autor für angemessen und notwendig hält.
Besonders vom deutschen Adel prasselten nach der Veröffentlichung schwere Vorwürfe auf den Grafen Zedlitz-Trützschler nieder. Er wurde als Nestbeschmutzer beschimpft, was grad bei einem Adligen unmöglich wäre, sein Buch sei voller Lügen und Anekdoten, die er sich nach 1918 ausgedacht habe, um im Buch als jemand zu erscheinen, der es ja schon immer besser gewusst habe.
Als herausragendes Beispiel dieser Missbilligungen erschien sogar umgehend ein ganzes Buch als Entgegnung: „Mein Kaiser! – Der Fall Zedlitz-Trützschler und Wilhelm II. wahres Gesicht“ von Hans Graf von Pfeil und Klein-Ellguth (Leipziger Graphische Werke, 1923). Ein schwer zu lesendes Buch mit einer Anreihung von Punkten aus Zedlitz-Trützschlers Buch und Versuchen Graf Pfeils diese als Lügen oder Phantasiekonstrukte zu entlarven. Dazwischen immer wieder eine fassungslose Entrüstung, daß ein Graf so ein ungehöriges Enthüllungsbuch geschrieben hat.

 

 

Als neuere Literatur sei genannt. „Skandal im Jagdschloss Grunewald“ von Wolfgang Wippermann (Primus-Verlag 2010), worin versucht wird einen Sex-Party-Skandal von 1891/96 bis ins Detail aufzuarbeiten. Norman Dormeier widmet sich in „Der Eulenburg-Skandal“ (Campus Historische Studien, 2010) vor allem den Aspekten zur Homosexualität im Umfeld des Kaisers und deren öffentliche Wahrnehmung, bzw. Ausschlachtung. Schlussendlich natürlich der Hinweis auf das beste Fachbuch zum Thema von John C. G. Röhl „Kaiser, Hof und Staat“ (C. H. Beck 1987) mit vielen gut recherchierten und verblüffenden Angaben.

 
2. Die Siegelmarken der Post vom Kaiserlichen Hof
 
Höfische Abläufe, Organisation und Zeremoniell
 
 
Die Kabinette, die Bindeglieder zwischen Hof und Staat (Röhl)
 
 
Finanzen und Schlossbau
 
 
Persönliche Angelegenheiten, der General- und die Flügeladjutanten
 
 

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